Werner Mittelstaedt: „Transformation und Ambivalenz. Kurskorrektur oder Klimakatastrophe.“

Werner Mittelstaedt zählt zu den Vertretern einer kritischen Zukunftsforschung in der Tradition von Robert Jungk. In seinem aktuellen Buch „Transformation und Ambivalenz“ steht die Klimakrise im Fokus. Diese sieht er aktuell als größte Gefahr für die Menschheit, wie der Untertitel des Bandes „Kurskorrektur oder Klimakatastrophe“ anzeigt. Mittelstaedt widmet sich zunächst den beiden Begriffen des Buchtitels. Unter Transformationen seien die „vielen winzigen bis sehr großen Veränderungsschritte auf praktisch allen Ebenen menschlichen Handelns zu verstehen“ (S. 15). Ihre Realisierung impliziere einen fundamentalen gesellschaftlichen Wandel, der die Lebenswirklichkeiten der Menschen fast überall auf der Erde umgestalten werde. Der Autor spricht von einem „Epochenumbruch“ (S. 16), den nicht nur Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie, sondern „möglichst viele Menschen aus allen gesellschaftlichen Umfeldern“ (ebd.) zu gestalten hätten.

Was hat dies mit Ambivalenz zu tun? „Wir wollen etwas verändern, aber scheuen uns, dafür etwas zu tun oder zu unterlassen.“ (S. 18) Dies gelte, so Mittelstaedt, nicht nur für einzelne Menschen, sondern das Handeln ganzer Länder oder Staatengemeinschaften, die die Ambivalenz der Bürger und Bürgerinnen widerspiegeln, wie etwa die bislang 27 Klimakonferenzen der Vereinten Nationen seit 1995 zeigen würden: „Seitdem hat sich die Erwärmung beschleunigt und die Schäden in der Biosphäre und für die Menschen durch die Klimakrise werden Jahr für Jahr größer, weil praktisch nichts erreicht wurde.“ (S. 19) Wir seien gefangen im Fortschrittsversprechen und der Wachstumsgläubigkeit: „Durch das enorme Wirtschaftswachstum im noch jungen 21. Jahrhundert wurde das gesamte Erdsystem stärker als jemals zuvor im Anthropozän belastet.“ (S. 50) Mittelstaedt spricht hier von einem „drohenden Wachstumsdilemma“ (S. 73), denn das bestehende Wachstumsparadigma sei alles andere als nachhaltig, wenn das Wachstum aufgrund von zunehmenden Klimakatastrophen jedoch einbreche, drohten „soziale Unruhen und politische Krisen nie gekannten Ausmaßes“ (ebd.). Der Rechtsruck und die Proteste in Europa durch die Gas- und Energiekrise hätten einen kleinen Vorgeschmack darauf geliefert. Eine Megakrise wäre auch unter dem Einsatz klugen Handelns und allergrößter Disziplin der meisten Menschen nicht mehr zu lindern.

„Lebensqualität und Lebensstandard müssen sich am Klimaschutz und der nachhaltigen Entwicklung orientieren.“ (S. 138)

Im Zentrum der globalen Transformation steht die Umstellung der Energieversorgung. Auch hier habe der Krieg Putins gegen die Ukraine die Krisenhaftigkeit unseres Energiesystems deutlich gemacht, so Mittelstaedt. Flüssiggas (LNG) sei davor nur als Ergänzung, etwa für LKW-Treibstoff, verwendet worden. Im Zuge der Gas-Krise sei dieses aber zum Ersatz für russisches Gas geworden – mit problematischen ökologischen Folgen: „LNG aus den USA mit hohem Fracking-Anteil ist mehr als 6-mal und das aus Australien rund 7,5-mal klimaschädlicher als Pipeline-Gas aus Norwegen.“ (S. 93)

Mittelstaedt fordert ein neues „Aufstiegs-Narrativ“ (S. 134), das Klimaschutz in allen Bereichen und Berufen ins Zentrum stellt. Und er plädiert für ein neues „Fortschritts-Narrativ“ (S. 135). Dieses müsse vermitteln, dass gesellschaftlicher Fortschritt sich nur noch erzielen lasse, „wenn Menschen ein neues Verständnis im Umgang mit der Biosphäre und der Begrenztheit der Erde entwickeln und danach handeln“ (ebd.) Da kommt die „neue Aufklärung“ von Ernst U. v. Weizsäcker ins Spiel, der ein Vorwort zum Buch verfasst hat.

Einschätzung: Werner Mittelstaedt vermittelt die Dringlichkeit der Umsteuerung und zitiert zahlreiche Fakten, die diese untermauern. Seine Vorschläge zur Transformation sind pragmatisch und reformorientiert. Sie reichen vom Stopp der Flächenversiegelung über den Ersatz von Kunststoffen durch biobasierte Ersatzstoffe bis hin zu Tempolimits auf Straßen und auf den Weltmeeren sowie einer deutlichen Verteuerung des Flugverkehrs. Auch eine faire Verteilung des Wohlstands und die Begrenzung der Reichen mit ihrem gigantischen CO2-Fußabdruck wird angesprochen. Heftig kritisiert werden die neuen Militarisierungsschritte, die ökologisch desaströs seien und für die Transformation nötige Ressourcen verschlingen. Der Autor setzt auf strukturelle Veränderungen und damit auf eine Zähmung des Kapitalismus – die Systemfrage stellt das Buch so nicht. Deutlich wird, dass der Wandel auch unserer Denkmuster und kulturellen Bilder von Fortschritt notwendig ist, wie die 95 neuen Wertorientierungen und Handlungsmuster am Ende des Buches nochmals vor Augen führen. Ein Buch, das einmal mehr die Dringlichkeit der Umsteuerung aufzeigt. Hans Holzinger

Werner Mittelstaedt: Transformation und Ambivalenz. Kurskorrektur oder Klimakatastrophe. Lausanne u. a.: Peter Lang, 2023. 179 S.

Die Rezension erscheint demnächst auch auf proZukunft.

Autor: Hans Holzinger

Zukunfts- und Nachhaltigkeitsforscher, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg, 2010-2014 Lehrauftrag an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Autor und Vortragender, zuletzt erschienen: "Neuer Wohlstand. Leben und Wirtschaften auf einem begrenzten Planeten" (2012); "Sonne statt Atom. Robert Jungk und die Debatten über die Zukunft der Energieversorgung seit den 1950er-Jahren" (2013), "Von nichts zu viel - für alle genug" (2016), "Post-Corona-Gesellschaft" (2020). Forschungsschwerpunkte: Zukunft der Arbeit und sozialen Sicherung, globaler Ausgleich, neue Wohlstandbilder. Mitglied u.a. von Attac, Gemeinwohlökonomie,Global Marshall Plan Initiative, Südwind, Amnesty International.